"Wenn Du ein Land kennenlernen willst, gehe nicht zu den Ausgrabungsstätten, sondern in die  Tavernen." Das habe er so oder so ähnlich einmal gelesen. Michael Höller hat den Spruch nur  etwas abgewandelt und ihn zu seinem Lebensmotto gemacht: "Statt Tavernen sind es bei mir eben Stadien."[Allgemeine Zeitung / Rhein Main Presse, 1.8.2015]

zum Fußball 2017 (4)



zum Fußball 2017 (3)


Es muß Anfang der 90er Jahre gewesen sein, als ich kurz vor Silvester auf dem Bett meines Hotelzimmers in London lag und einen Film sah, in dem es um ein Fußballspiel zwischen Engländern und Deutschen ging. Ausgetragen in Zeiten des „Great War´s“ im „No Man´s Land“ zwischen den feindlichen Stellungen. Gewonnen haben, wie nebensächlich, die „Huns“ (= Hunnen, wie die Deutschen von den Briten genannt wurden).

Zu dem Plot des Films gehörte der Moment der Überraschung, daß es während des täglichen Bombardements und Massensterbens plötzlich zu einer solchen spontanen, zeitlich jedoch nur sehr begrenzten Verbrüderung unter Kriegsgegnern kommen konnte. Mir war zu diesem Zeitpunkt nicht klar, daß der Film auf wahren Begebenheiten basierte und nicht einfach einer Fiktion entsprach.



Ich bin ein geschichtsinteressierter Mensch und auch ein großer Liebhaber der Bücher von Erich Maria Remarque, die ich Mitte der 90er Jahre sämtlich verschlang. Später besuchte ich nicht nur Orte in Osnabrück, wo Remarque aufwuchs und einige Jahre lebte, sondern auch sein Grab in Porto Ronco am Lago Maggiore in der Schweiz.

Remarques bekanntestes Buch „Im Westen nichts Neues“ (aus meiner Sicht nicht einmal sein Bestes; Tipp: „Drei Kameraden“ lesen !) ist ein Anti-Kriegsroman, in dem sein Protagonist Paul Bäumer am Ende des 1. Weltkrieges in einem Bombenkrater stirbt, während der Frontbericht für diesen Tag meldet, daß es im Westen nichts Neues zu vermelden gäbe. Jahre später haben die Nazis Remarques Bücher verbrannt. Bemerkenswert: Remarque und seine Werke waren oder sind im Ausland weit aus bekannter und populärer (z.B. in der ehemaligen Sowjetunion) als in seiner Heimat Deutschland.


Bunker am Wegesrand.

Ähnlich steht es um die Verankerung der Geschehnisse des 1. Weltkrieges im kollektiven Gedächtnis der Briten und Deutschen. Von Ypern und Stellungskrieg haben wir wohl alle schon gehört. Aber meist war es das schon. Experten sind „wir alle“ eher bezüglich des 2. Weltkrieges – u.a. dank in Dauerschleife wiederholten Dokus auf Nachrichtenkanälen usw.! Bei den Briten ist das anders. Auf keinem Schlachtfeld der Welt haben sie mehr Soldaten verloren als zwischen 1914 – 1918 um Ypern: 765 000. In dem Buch „Der kleine Frieden im Großen Krieg“ heißt es u.a, daß jeder Durchschnitts-Brite über die vier Schlachten von Ypern mehr weiß, als jeder Durchschnitts-Belgier.

Am 28. Dezember 2017 ging´s für mich los mit der Bahn via Brüssel und Gent nach Ieper. Ideal wäre es gewesen - wie so oft -, dann mit einem Auto weiter durch die Gegend zu streifen. Aber was nicht ist, ist nicht. Also in den Bus 72 gesprungen, der aber nur so alle zwei Stunden mal fuhr.

"In Flanders Fields": u.a. Titel eines Soldaten-Gedichts.
Mehr Friedhöfe als Kuhställe.

 

Ploegsteert Memorial, Comines-Warneton
Gräber australischer und neuseeländischer Soldaten.


Erstes Ziel war der südlichste Punkt des Ausflugs, das Ploegsteert Memorial, nur 5 km von der Grenze zu Frankreich entfernt und schon nach 18 min Fahrzeit erreicht. Hier beginnt der autofreie Christmas Truce-Weg, auf dem man von der Bushaltestelle bequem zu der 2014 von UEFA-Boss Michel Platini eingeweihten Gedenkstelle neben dem Prowse Point-Friedhof kommt.



Nachbildung von Schützengräben am Prowse Point Military Cemetery
Drahtverhau vor den Gräben.


Schützengraben englischer Bauart...
...und sein deutsches Gegenstück.


Bunker (Original).
Blick hinein in den Bunker.


Die Gedenkstelle besteht aus einem 350 kg schweren Rohr (aus dem man früher Granaten abgefeuert hat) und einem Fußball aus Stahl. Davon gehen zwei zackenförmige Linien aus, die in Nachbildungen britischer und deutscher Schützengräben enden. Vor dem Rohr ein Quadrat zur Ablage von Widmungen und Mitbringseln der Besucher, wie z.B. Fußbälle, Trikots, Fahnen oder Schals.

Entsprechend der Saison standen dort zwei kleine geschmückte Weihnachtsbäumchen! Nicht ein einziges Teil konnte ich entdecken, daß Rückschluß auf einen deutschen Besucher hätte geben können. Alles, aber auch alles nur aus dem englischsprachigen Raum. So paßte mein (bzw. der meines Sohnes - ich hoffe, er vermißt ihn nicht alzubald) mitgebrachter DFB-Fan Club Nationalmannschaft-Schal ganz gut hierher.









Nur wenige Meter von der UEFA-Gedenkstelle entfernt, auf der anderen Straßenseite steht ein 1999 von den "Khaki Chums*" aufgestelltes Holzkreuz. Es ist die erste Gedenkstelle überhaupt, die sich dem "Christmas Truce" widmet. Die meisten anderen folgten erst rund um das hundertjährige Jubiläum 2014. Das Kreuz steht übrigens so, daß der Betrachter auf genau den Acker blickt, auf dem sich damals (laut schriftlicher Aufzeichnungen) Verbrüderungsszenen und  Fußballspiel ereignet haben sollen.

Am Fuße des Kreuzes lagen kleinere Holzkreuze mit stilisierten Mohnblüten und Widmungen von Teilnehmern einer der Battlefield-Touren. Hinter einer Infotafel hatte jemand vor Kurzem erst einen Strauß frischer Blumen abgestellt.

*Google berichtet: Die 'Khaki Chums' sind eine Sammlung von Armee-Enthusiasten, die ihre Zeit widmen, um die alltäglichen Realitäten des freiwilligen Einsatzes von Bürgersoldaten zwischen 1899 und 1960 zu entdecken. Während "Khaki Chums" der liebevolle Spitzname ist, den sie über mehrere Jahre erworben haben, spiegelt ihr wahrer Name, "The Association of Military Remembrance", genauer wider, worum es geht, und das ist - dafür sorgen, dass die Leute nicht vergessen. Ziel des Vereins ist es, die Öffentlichkeit über die wahren Hintergründe der Bürgerschaft zu informieren, um den alten Jungen einen Gefallen zu tun.




Plan und Cartoon des in GB bekannten Zeichners Captain Bairnsfather.




Prowse Point Military Cemetery, Ploegsteert
Bombenkrater


Auf dem Rückweg zur Bushaltestelle nahm ich eine andere Route und kam u.a. an einem Tümpel vorbei, bei dem es sich um ein mit Wasser gefüllten Bombenkrater handeln mußte. Nicht weit von Ploegsteert befindet sich mit dem "Pool of Peace" ein ähnliches Gewässer, nur von gänzlich anderen Ausmaßen: 12 Meter tief und 129 m breit. Entstanden während einer britischen Offensive im Juni 1917, bei der 19 unter den deutschen Linien eingegrabene Minen gleichzeitig gezündet wurden und bei der binnen Sekunden 10 000 Deutsche (Bayern) starben. Ebenfalls in der Nähe gibt es mit "Bayernwald" ein Gelände, wo man originale Schützengräben konserviert und für Besucher zugänglich gemacht hat. Wie gesagt, mit Auto kein Problem...

Überreste von "Hill 63", einem strategisch wichtigen Aussichtspunkt für die Briten.


"Hill 63" vor 100 Jahren.


Warten auf den Bus in "L´Auberge",wo sonst englischsprachige Battlefield-Besucher
einkehren.





Island of Ireland Peace Park, Mesen

Zurück mit der 72 die vier Kilometer nach Mesen. Ganz in der Nähe soll wohl Adolf Hitler während des 1. Weltkrieges im Einsatz gewesen sein?! Der irische Friedenspark mit seinem weithin sichtbaren Rundturm war leider geschlossen. Zwischen diesem Park und dem (neuseeländischen) NZ Memorial Messines liegt ein Fußballplatz, das sogenannte "Flanders Peace Field". Hier können Besucher (vor allem Schulklassen) des Peace Village Hostel freundschaftlich kicken. Scheint jedoch nicht allzu oft vorzukommen.





Vor eben jenem Peace Village Hostel in Mesen steht sich ein weiteres Denkmal, das an den Weihnachtsfrieden 1914 erinnert.




Noch rechtzeitig vor Sonnenuntergang schaffte ich es bis zum Marktplatz von Mesen, wo das letzte von mir eingeplante (und aus meiner Sicht aussagekräftigste) Monument zum Christmas Truce aufgestellt ist.

In der unbemannten Touristen Info direkt hinter dem Denkmal besuchte ich eine kleine, aber sehr sehenswerte Ausstellung über die Ereignisse zwischen 1914 und 1918 in Mesen. Ich blätterte in einem Prospekt, in dem sehr bedauert wurde, daß man die "Flanders Fields" fast nur wegen des "Great War´s" und  besuche. Dabei seien die Felder auch sonst sehr sehenswert.... Vergeßt es! dachte ich mir nur.




"unmanned tourist information point" (TIP), Mesen




Opfer: Zehntausend Bayern.
Auf dem Marktplatz von Mesen.


Tuchhalle in Ieper.
Unvermeidlich: Tommy Tourismus.


Zurück in Ieper nahm ich die Chance wahr, am Abend dem seit 1928 täglich stattfindenen (abgesehen von der deutschen Besatzungszeit während WW II) "Last Post" beizuwohnen. Doch zuvor hatte ich noch Zeit, mir einige dieser unsäglichen Touristen-Shops anzusehen, in denen es nicht nur Patronenhülsen (1 EUR) oder verrostete Handgranaten (10 EUR), sondern auch jede Menge Kitsch und Dreck "Made in China" zu kaufen gab. Ein Buchladen war vollgestopft mit Bildbänden und Literatur zum Thema "Great War". Dabei Spezialliteratur wie "Indiander und Eskimos im Krieg" oder "Das sexuelle Verhalten von Soldaten in der britischen Armee" (Titel frei übersetzt von mir).

Schon ne dreiviertel Stunde vor Beginn versammelten sich die ersten Menschen im Menentor, das von den Ausmaßen her eher einer Halle denn einem Tor gleicht. Die Polizei sperrte die Durchfahrt durch das Monument. Schätze, daß zu Beginn mehr als 500 Leute vor Ort waren. Zu 90% natürlich Briten.

Punkt 20 Uhr spielten nach einer kleinen Ansprache drei Trompeter eine Melodie, wie man sie im Commonwealth wohl des öfteren zu ähnlichen Anlässen zu hören bekommt. Zwischendurch legten zwei Mädchen symbolisch einen Kranz aus Plastik-Mohnblumen nieder. Man bedenke, diese Zeremonie hat schon über 30 000 mal stattgefunden. Ich stellte mir insgeheim die Frage, warum es für deutsche Soldaten nicht was ähnliches gibt. Müßte ja auch nicht so pompös sein. Aber wer zweimal einen Krieg verliert, muß wohl die Füße still halten. Die Engländer haben so ein "Problem" nicht. Trotzdem eine ergreifende Zeremonie, die man mal erlebt haben sollte.

Poppys erinnern an die blutrot getränkte Erde Flanderns.
Menentor, Gedenkstelle für vermisste Soldaten des Commonwealth.



54 896 Vermisste, darunter Inder, Australier, Neuseeländer, Kanadier, Südafrikaner...


Täglich um 20 Uhr: Zapfenstreich.

Anschließend trottete ich zügig zum Bahnhof von Ieper. Ich wollte dem Treiben auf dem Weihnachtsmarkt im Stadtzentrum entgehen. Boah, bin ich froh, daß mit dem Gedöns bei uns am 24. Dezember Schluß ist!

Nach zweistündiger Zugfahrt war ich in Antwerpen Centraal und steuerte schnurstracks meine gebuchtes Guest House Privilege in der Van Maerlantstraat 50 an. Das ich kurz vor Mitternacht gerade in eine der merkwürdigsten Unterkünfte ever eincheckte, merkte ich zunächst gar nicht. Das Interieur war ziemlich einfach und alles wirkte irgendwie etwas kalt und glatt, aber sonst...  Bei 39 EUR / pro Nacht im Einzelzimmer hatte ich auch nichts anderes erwartet.


Erst als ich am nächsten Morgen mein Zimmer verließ und in den Fahrstuhl einstieg, fiel bei mir der Groschen. Ich ging nochmal kurz zurück und blickte mich im Flur um. Tatsächlich...  An den Wänden waren überall dicke, hohe "Leitplanken" aus Holz angebracht. Die Zimmer lagen alle außen an einem Rund-Gang, der quadratisch um eine "Insel" in der Mitte der Etage führte. In der "Insel" hatte ein Zimmer eine große Fensterscheibe, auf der Rückseite war eine Tür,wo irgendwas mit "Verpleeg" stand. Jetzt kapierte ich auch, warum die Zimmer keine Duschen, sondern in einer Nische nur Toilette und Waschbecken hatten. Das Guest House Privilege war in früheren Tagen ein.... Krankenhaus gewesen!

Ich konnte es zuerst nicht glauben, aber es stimmte. Jetzt fiel es mir wie Schuppen von den Augen: Zum Beispiel hinter der großen Fensterscheibe in der "Insel" war einst das Schwesternzimmer. Krass! Und schon fast wieder geil, oder? Ich ärgere mich bis heute unglaublich darüber, daß ich da keine Fotos geschossen habe. Aahhhhh!!!!! Wen es interessiert, der schaue sich mal die Bilder vom "Privileg" auf diversen Buchungsportalen an. Geschickt ausgewählte Bilder, aber wenn man "es" weiß, sieht man es direkt.

Bevor es am späten Nachmittag ab Brüssel Midi wieder nach Hause ging, konnte ich noch zwei Erfolge verbuchen:

  1. Spotting des Stadions De Schalk in Willebroek (bei Mechelen). In so einem Zustand sind mir LOST GROUNDS am liebsten, auch wenn Vandalen schon  deutlich ihre (unschönen) Spuren hinterlassen haben. Problemlos konnte ich gute Fotos machen!
  2. Spotting des Stade Adrien Bertelsen (im südlichen Brüsseler Stadtteil Forst) mit seinen schönen, alten Stehrängen. Hier war das Fotografieren nicht ganz so einfach, weil der Ground nicht zugänglich war. Mußte man halt das Objektiv durch die Zaunmaschen drücken. Geht alles!


LOST GROUND: De Schalk, Willebroek


Moosbewachsene Wellenbrecher aus Beton: Stade Adrien Bertelson, Brüssel-Forst




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